Liberté – und sonst nix?

Ich halte dieses Semester ein philosophisches Seminar, in dem es unter anderem um den Demokratiebegriff der Aufklärung geht.

Ein Student aus diesem Seminar hat mir eben eine Mail mit einem FAZ-Artikel über Macron geschickt (https://lnkd.in/eb2YdHsJ), in dem die FAZ auf Macrons jüngste Tirade gegenüber der ungeimpften Bevölkerung in Frankreich eingeht. Macrons Ausführungen sind ziemlich unterhaltsam und schräg, unter anderem benutzt er das Wort „emmerder“, was man sehr wohlwollend mit „auf die Nerven gehen“ übersetzen könnte, in einer wörtlichen Übersetzung müsste man auf das darin vorkommende Wort „merde“ eingehen …

Jetzt regen sich natürlich wieder alle über Macron auf.

Mein Student weist aber völlig zurecht darauf hin, dass es ja kein Wunder sei, dass Macron so ausflippe. Denn die Franzosen haben traditionell ein ganz anderes Verständnis davon, was es heißt, ein Bürger zu sein. Ein Bürger (ein citoyen) ist überhaupt nicht ohne einen Bezug zur Gemeinschaft denkbar. Seine Freiheit bedingt die Freiheit anderer und vice versa.

Dementsprechend hieß ja der Schlachtruf der französischen Revolution auch nicht einfach nur: Libertè!

sondern: Libertè, Égalité, Fraternitè!

Vor allem die Fraternitè (die man heute eher mit Solidarität als mit Brüderlichkeit übersetzen sollte) fällt meistens hinten runter.
Hierzulande häufig vertretene Freiheitsbegriffe, die den Menschen als selbstbezügliches, egoististisches Individuum darstellen, sind in dem Sinne ein Rückfall hinter die Aufklärung, also voll 18. Jahrhundert. Umso bescheuerter, dass sich diese wichtigen Themen an etwas so Trivialem wie dem Impfen festmachen (das mit Freiheit per se nix zu tun hat…).

#Freiheit #Aufklärung #Philosophie #Solidarität #Impfen #Macron

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