Allgemeine vs. teilweise Impfpflicht

Die Debatte um die Impfpflicht hat sich nach einem langen Sommerschlaf jetzt rasend schnell entwickelt. Bis vor ein paar Wochen waren weite Teile von Politik und Öffentlichkeit gegen eine Impfpflicht, jetzt sind unter dem Eindruck rapide steigender Infektionszahlen weite Teile dafür.

Ich habe auf meinem Kanal bereis letztes Frühjahr über eine Impfpflicht berichtet und diese damals schon für rechtlich zulässig und ethisch geboten gehalten (damals unter dem Schlagwort Impfprivilegien) und dieses Thema vor ein paar Wochen noch einmal ausführlich aufgegriffen (Und täglich grüßt die Impfpflicht). Darüber habe ich in einem LinkedIn-Artikel berichtet.

Dass eine Impfpflicht rechtlich zulässig und moralisch geboten ist, setzt sich so langsam im öffentlichen Bewusstsein durch. Noch ungeklärt ist freilich die schwierige Frage, wie genau in der Praxis eine Impfpflicht umzusetzen wäre. Hierzu kursieren teils abenteuerliche Vorschläge, die ich zu einem späteren Zeitpunkt – wenn sich das konkretisiert hat – einmal erklären werde.

Momentan scheiden sich die Geister vor allem daran, ob es zu einer teilweisen Impfpflicht (zum Beispiel bezogen auf Pflegeeinrichtungen) oder einer allgemeinen Impfpflicht (also für alle) kommen soll. Für beide Spielarten lässt sich je ein verfassungsrechtliches Argument finden. Aus meiner Sicht sprechen sogar die besseren Gründe für eine allgemeine Impfpflicht. Denn bei einem Vergleich einer teilweisen mit einer allgemeinen Impfpflicht kommt noch ein entscheidendes Moment dazu: Die Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Was spricht für und gegen die nur teilweise Impfpflicht?

Für eine nur teilweise Impfpflicht spricht, dass eine solche Pflicht nur Menschen trifft, von denen aufgrund ihres Kontakts zu vulnerablen Gruppen eine besondere Gefahr ausgeht. Der Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG, hierz ausführlich mein letzter Artikel) ist mit diesem Argument leichter zu rechtfertigen. Die Notwendigkeit einer Impfpflicht lässt sich mit diesem Argument konkreter und individualisierter begründen.

Allerdings wirft eine teilweise Impfpflicht Fragen der Gleichbehandlung auf. Vertreter der Pflegeberufe haben zurecht darauf hingewiesen, dass es diskriminierend wäre, nur Pflegenden eine Impfpflicht aufzuerlegen. Denn eine ähnliche Gefahr geht auch von anderen Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen aus. Daher hat sich die Idee einer einrichtungsbezogenen teilweisen Impfpflicht durchgesetzt. Aber es geht noch weiter: Was ist denn mit anderen Berufen, die viel Kontakt zu anderen haben? Lehrkräfte, Ärzte, Physiotherapeuten, Professoren, Öffentlicher Dienst, Friseure und so weiter und so fort. Es wird sehr schwer fallen, hier eine klare, nachvollziehbare Grenze zu ziehen.

2. Was spricht für und gegen eine allgemeine Impfpflicht?

Gegen eine allgemeine Impfpflicht spricht genau das, was für die teilweise Impfpflicht spricht: Die allgemeine Impfpflicht ist weniger konkret, weniger individualisiert, sie träfe auch vereinzelt Menschen, von denen aufgrund ihrer Lebensführung und ihrer Vorsicht womöglich de facto gar keine Gefahr ausgeht.

Für die allgemeine Impfpflicht spricht hingegen genau das, was gegen die teilweise Impfpflicht spricht. Das Problem der Gleichbehandlung stellt sich nicht in gleichem Maße, da ja alle gleichermaßen betroffen sind. Das ist zwar ein schwieriges Argument, weil es tendenziell zu schärferen Grundrechtseingriffen (im Sinne der Gleichbehandlung) führt. Seine Durchschlagskraft hängt maßgeblich davon ab, wie infektiös ein Geimpfter im Vergleich zu einem Ungeimpften ist und wie gefährlich ein Verlauf auch bei den nicht vulnerablen Gruppen sein kann. Das Credo vom Anfang der Pandemie, man müsse nur die vulnerablen Gruppen schützen, dann ginge das schon irgendwie gut, ist jedenfalls nicht mehr aufrecht zu erhalten.

Für eine allgemeine Impfpflicht spricht außerdem die Hoffnung auf einen endemischen Zustand, das ist ein Zustand, in dem Covid-19 so etwas wird wie eine saisonale Grippe oder Erkältungskrankheit (hierzu sehr wichtig und instruktiv Christian Drosten im NDR-Podcast – Folge 97 aus dem September (!)). Für einen solchen Zustand braucht es bei der derzeit grassierenden Delta-Variante (ggfs. kommen ja noch aggressivere Varianten) eine sehr hohe Impfquote, die – wie es derzeit aussieht – auf freiwilliger Basis nicht zu erreichen ist.

Meine (etwas desillusionierte) Prognose zum Thema: Akut hilft jetzt eine Impfpflicht sowieso nicht. Daher wird die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht in Anbetracht akuter Problemstellungen vertagt. Sie wird in der 5. oder 6. Welle wieder aus der Schublade geholt werden. Das wird dann wieder völlig überraschend und unvorhersehbar sein. Hoffen wir mal trotzdem das Beste!

 

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